
Red Flags für den Turnaround - die menschliche Dimension
«Kann das Unternehmen überhaupt gerettet werden?» Bevor der Turnaround in Angriff genommen wird, muss diese Frage geklärt werden. Bei einem «nein» wird eine Schliessung der Firma in Betracht gezogen. Bei der Beantwortung der Frage stehen jeweils finanzielle Überlegungen im Vordergrund. Diesen reichen aber nicht aus. Denn Sanierungsfähigkeit ist nicht nur eine Rechenaufgabe, sondern auch eine Frage der Haltung.
Welche Frage steckt hinter der Sanierungsfähigkeit?
Sanierungsfähigkeit beantwortet die Frage: Kann dieses Unternehmen realistisch aus eigener Kraft oder mit unterstützender Begleitung wieder in eine stabile, tragfähige Lage kommen? Es geht um die praktische Umsetzbarkeit einer Gesundung, nicht nur auf dem Papier, sondern in der Wirklichkeit.
Was Sanierungsfähigkeit ausmacht und was oft vergessen geht
Für die Beurteilung der Sanierungsfähigkeit werden in erster Linie finanzielle Kriterien verwendet. Folgende Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit ein Turnaround gelingen kann:
- Ein Geschäftsmodell mit zukünftigem Ertragspotenzial
- Operative Hebel, die schnell wirken (z.B. Fixkostensenkung)
- Liquiditätsspielraum oder gesicherte Zwischenfinanzierung
- Ein tragfähiger, nachvollziehbarer Massnahmenplan
Es muss nachgewiesen werden können, dass nach der Durchführung des Turnarounds genügend Erträge und Cash-Flows erzielt werden können, um das Unternehmen nachhaltig profitabel zu führen.
Doch das allein reicht nicht. Denn Sanierungsfähigkeit ist mehr als Machbarkeit. Sie ist auch Umsetzbarkeit. Und hier beginnt der menschliche Teil.
Die unterschätzte Dimension: Menschen
Viele Sanierungen scheitern nicht an der finanziellen Logik, sondern an den direkt beteiligten Menschen: der Geschäftsleitung und den Mitarbeitenden.
Wenn eine Krise eintritt, suchen Menschen häufig nach einem Wundermittel, um die Krise mit einem Schlag zu besiegen. Dasselbe ist oftmals bei Unternehmen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu beobachten: Sie versuchen den Turnaround mit einem grossen Wurf, einem Wundermittel, herbeizuführen.
Es gibt jedoch kein Wundermittel! Es braucht mehrere konsistente und teilweise harte Massnahmen, um einen erfolgreichen Turnaround zu erzielen. Der Arbeitsaufwand aller Mitarbeitenden steigt während der Umsetzung des Turnarounds für längere Zeit an. Es braucht deshalb eine Verzichtbereitschaft bei der ganzen Belegschaft. Dies kann nur durch vollumfängliche Unterstützung des Turnarounds durch die Mitarbeitenden erfolgen.
Der Geschäftsleitung kommt hierbei eine grosse Rolle zu. Sie bestimmt die Kommunikation und hat eine starke Vorbildfunktion. Es ist wichtig, dass sie vollumfänglich hinter dem Turnaround steht, bereit ist harte Massnahmen zu treffen und umzusetzen, die Mitarbeitenden transparent informiert und begleitet und selbst mit Verzichtbereitschaft vorangeht.
Red Flags in der Führung, die die Sanierungsfähigkeit untergraben
Bei der Prüfung der Sanierungsfähigkeit ist folglich neben den finanziellen Kriterien zu bewerten, ob die Geschäftsleitung und die Mitarbeitenden den Turnaround unterstützen und eine Verzichtbereitschaft vorhanden ist. Bei der Geschäftsleitung gibt es klare «Red Flags», die als Anzeichen gewertet werden müssen, dass die Sanierungsfähigkeit mit der momentanen Belegschaft nicht gegeben ist:
- Keine oder geschönte Kommunikation zur wirtschaftlichen Lage des Unternehmens: Wissen die Mitarbeitenden nichts über die schwierige wirtschaftliche Lage ihres Unternehmens, ist dies kein gutes Zeichen. Es zeigt, dass es bis anhin kein ernsthaftes Bestreben zur Verbesserung der Lage gab. Denn ohne die Mitarbeitenden ist ein Turnaround nicht zu bewerkstelligen. Und um die Mitarbeitenden zu gewinnen, ist transparente Kommunikation entscheidend. Ausserdem deutet es auf eine starke Informationsasymmetrie im Unternehmen hin. Die Mitarbeitenden werden sich kaum für das finanzielle Ergebnis des Unternehmens mitverantwortlich fühlen, wenn sie dieses nicht kennen. Das erschwert die Akzeptanz der Realität und der notwendigen Massnahmen.
- Zu grosses Harmoniebedürfnis gegenüber allen Stakeholdern: Eine Geschäftsleitung, die es allen Stakeholdern zu jeder Zeit recht machen will, ist für eine Turnaround-Situation nicht geeignet. In Turnaround-Situationen ist eine klare Priorisierung zur Sicherung der Überlebensfähigkeit des Unternehmens notwendig. Das bedeutet, dass von Mitarbeitenden mehr gefordert wird und Entlassungen teilweise unumgänglich sind. Bei den Kunden müssen oft Rabattanpassungen oder Preiserhöhungen durchgesetzt werden, was kaum für Jubelsprünge sorgen wird. Diese Spannungen gilt es auszuhalten und gekonnt zu managen. Es empfiehlt sich eine zahlenbasierte und empathische Kommunikation. Im folgenden Blogbeitrag wurde vertiefter auf dieses Konzept eingegangen: https://www.gt-consulting.ch/post/die-macht-der-zahlen-warum-zahlenbasierte-unternehmensfuehrung-unverzichtbar-ist.
- Forderungen an die Belegschaft ohne eigene Verzichtbereitschaft: Sind Geschäftsleitungsmitglieder nicht bereit, auf einige ihrer Privilegen zu verzichten, werden die Mitarbeitenden nicht bereit sein, mehr als üblich zu leisten, um den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Die Vorbildfunktion der Geschäftsleitung im Turnaround kann nicht hoch genug gewichtet werden. Eine Verzichtbereitschaft kann auf unterschiedliche Weise gezeigt werden: Eigene Lohnkürzungen oder Lohnaufschiebungen, höhere Arbeitszeiten inkl. Sichtbarkeit im Büro, Privilegienverzicht (z.B. Verzicht auf üppige Geschäftsessen, Verzicht auf 1. Klasse GA, Verzicht auf Privatgebrauch von Geschäftsauto) etc.
Und der Verwaltungsrat?
Auch der Verwaltungsrat muss mitziehen, vor allem der Präsident. Ein Turnaround ist kein Normalbetrieb. Der Verwaltungsrat muss bereit sein, mehr zu leisten, näher dran zu sein, sich mit der Lage aktiv auseinanderzusetzen. Der Turnaround kann nur gestemmt werden, wenn der Verwaltungsrat, die Geschäftsleitung und die Mitarbeitenden am selben Strang ziehen, um das Unternehmen wieder erfolgsversprechend aufzustellen.
Fazit: Sanierungsfähigkeit braucht Finanzen und Menschen
Ohne Finanzen kein Fundament. Ohne Menschen keine Bewegung.
Sanierungsfähigkeit entsteht dort, wo wirtschaftliche Logik auf glaubwürdige Führung trifft. Und wer in der Krise nichts vorlebt, braucht keine Gefolgschaft erwarten.